Orwo setzt jetzt auch auf KI

PIONIERGEIST Von Fotobüchern bis zu bedruckten Tassen: Was nötig ist, um mit den Bedürfnissen der Kunden Schritt zu halten, zeigt das Fotogroßlabor mit Sitz in Wolfen.

Von Florian Zellmer

Die Mitarbeiterzahl des Fotogroßlabors Orwo ist seit 2003 von 30 auf mehr als 300 angestiegen. Unternehmenssprecherin Stefanie Voit (r.) hat alle Produktionsschritte stets im Blick. Foto: Andreas Stedtler
Die Mitarbeiterzahl des Fotogroßlabors Orwo ist seit 2003 von 30 auf mehr als 300 angestiegen. Unternehmenssprecherin Stefanie Voit (r.) hat alle Produktionsschritte stets im Blick. Foto: Andreas Stedtler

Bitterfeld-Wolfen. - Insgesamt 5.000 Fotobücher, 11.000 bedruckte Tassen und mehr als zwei Millionen entwickelte Bilder: Die Produktionsmenge der Orwo Net GmbH mit Fertigungshallen in Wolfen und Thalheim im Landkreis Anhalt-Bitterfeld kann für branchenfremde Ohren etwas gewaltig klingen. Und auch Björn Schwarzbach, einer von zwei Geschäftsführern des Unternehmens, scheut sich nicht, die Dimension solcher Zahlen zu bekräftigen: „Orwo gehört zu den führenden Dienstleistern im Bereich individualisierbarer Fotoprodukte. Arbeitsmangel ist kein Problem, das wir haben.“ Das war nicht immer so.

Totgesagte leben länger

Orwo, das steht für Original Wolfen: ein markanter Name mit vier Buchstaben, der erstmals 1964 Verwendung fand, nachdem die 1909 gegründete Filmfabrik sich von ihrer alten Bezeichnung als Agfa Wolfen lösen wollte. Das auf Filmherstellung spezialisierte Unternehmen hatte später, ab Ende des 20. Jahrhunderts, mit stark abnehmenden Produktionsmengen zu kämpfen. Mehrfache Insolvenzverfahren um die Jahrtausendwende waren Begleiterscheinungen dessen, woran es hauptsächlich mangelte: dem passenden Konzept für die Zukunft.

Der heutige Erfolg des Unternehmens kann daher wohl kaum als Selbstverständlichkeit bezeichnet werden. Das denkt auch Schwarzbach und erinnert gern daran, dass analoge Fotografie vor einigen Jahren noch für tot erklärt worden sei. Mehr als einmal sogar.

Der 40-Jährige muss daher schmunzeln, wenn er auf die ratternden Fließbänder der Maschinen in der Wolfener Fertigungshalle 1 schaut. Im Eiltempo werden darauf jede Minute hunderte Bilder von einem Entwicklungsschritt zum nächsten befördert. So schnell, dass Beobachter kaum etwas von all den darauf verewigten Strandurlauben, Städtetrips und Candle Light Dinners erkennen können.

Die Abzüge stammen von den Einwegkameras, die täglich die Orwo-Hauptzentrale im Chemiepark aus vielen verschiedenen Teilen Deutschlands erreichen.  Kartonweise stapeln sich die Knipskisten und warten darauf, entkernt zu werden.

1964 sollte ein neues Label her für die Filmfabrik Wolfen, und das Unternehmen firmierte weltweit als Orwo. Foto: Industrie- und Filmmuseum Wolfen
1964 sollte ein neues Label her für die Filmfabrik Wolfen, und das Unternehmen firmierte weltweit als Orwo. Foto: Industrie- und Filmmuseum Wolfen

Die richtige Rezeptur 

Das analoge Geschäft? Es läuft wohl wie am Schnürchen. Seit 2023 sind die Marken Pixelnet, myFoto und Foto Quelle im Wolfener Unternehmen zu einer Marke verschmolzen. Dass heute vieles gut läuft bei Orwo Net und die Mitarbeiterzahl in den vergangenen zwanzig Jahren von 30 auf über 300 geklettert ist – dafür habe es laut Unternehmenssprecherin Stefanie Voit mehr gebraucht als Subventionsbeträge in zweistelliger Millionenhöhe.

Viel Pioniergeist sei nötig gewesen. Oder auch: Vision. Die habe der Unternehmer Gerhard Köhler mitgebracht, als er im September 2003 als Leiter einer ostdeutschen Investorengruppe das Fotogroßlabor aus der zweiten Insolvenz übernahm und dafür sorgte, dass das Unternehmen unter dem Namen Orwo Net den richtigen Einstieg in das Zeitalter der digitalen Fotografie fand.

So ist es auch kaum verwunderlich, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) im August 2023 anlässlich des 20. Geburtstages von Orwo Net bei einem Firmenbesuch Folgendes zu Protokoll gab: „Dass Orwo noch existiert, kann durchaus als kleines Wunder bezeichnet werden. Keiner hätte der Marke nach der Wende noch eine Zukunft gegeben.“

Orwo setzt auf rücksichtsvolle Arbeitskultur

Und tatsächlich: Die Metamorphose zu einem Unternehmen, das nicht nur profitabel ist, sondern auch viel Wert auf die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter legt, gelingt nicht überall.  Schwarzbach ist sich sicher, dass der Fotodienstleister genau das geschafft hat: „Wir bieten Flexibilität bei den Arbeitsmodellen und nehmen viel Rücksicht auf die jeweilige familiäre Situation. Außerdem achten wir auf Geschlechterparität, auch in der Geschäftsleitung.“ Eine moderne und rücksichtsvolle Arbeitskultur – für Schwarzbach essenziell, wenn das Wachstum nachhaltig sein soll.

Ebenso wichtig ist eine Produktpalette, die breit aufgestellt ist und sich gleichzeitig nach den Kundenbedürfnissen richtet. Bei Orwo Net heißt das zu großen Teilen:  Fotobücher, bedruckte Tassen, Poster, Karten, Wanddekoration und Druckproduktion. Fotoabzüge allein sind zwar nicht mehr ausreichend, erfreuen sich aber weiterhin großer Beliebtheit.

Im Handumdrehen eingetütet: die Verpackungsmaschine Genesys im  Fotogroßlabor von Orwo in Wolfen Foto: Ulf Rostalsky
Im Handumdrehen eingetütet: die Verpackungsmaschine Genesys im Fotogroßlabor von Orwo in Wolfen Foto: Ulf Rostalsky

Der Gamechanger?

Ebenfalls eine große Rolle spiele das Thema Künstliche Intelligenz (KI). „Durch Digitalfotos hat sich einiges verändert“, sagt Unternehmenssprecherin Voit und meint damit: Durch das Smartphone haben die meisten ihre Kamera stets dabei. Eine sehr benutzerfreundliche sogar, die von ganz allein dafür sorgt, dass der Schnappschuss am Ende überzeugt.

Das Wolfener Unternehmen habe sich samt seiner Arbeitsweise an den Bedürfnissen der Kunden orientieren müssen. Dazu passt: die Orwo-App. „Wir haben etwas entwickeln lassen, das mit der Zeit geht. Eine KI, die Zugriff auf die Bilder der Kunden hat und sich bei Bedarf sogar um die Bildauswahl für ein Fotobuch kümmert“, erklärt Schwarzbach und wischt eventuelle Bedenken bezüglich der Privatsphäre sofort vom Tisch: „Da muss sich wirklich niemand Sorgen machen. Die Daten werden nirgendwo gespeichert.“

Aufträge für die verschiedenen Produkte können sogar über den Messenger-Dienst Whatsapp gegeben und innerhalb von wenigen Minuten abgewickelt werden. Ein Chatbot übernimmt dabei die Kommunikation. Alles sei aber auch weiterhin auf herkömmliche Weise über die Website oder einen Filialbesuch möglich.

Packsystem verpackt Fracht vollautomatisch

KI für die Abwicklung von Kundenaufträgen ist aber nicht das einzig Revolutionäre im Hause Orwo: „Definitiv viel verändert hat sich auch durch unsere 3D-Packaging-Maschine Genesys“, erklärt der Geschäftsführer stolz und zeigt auf ein viele Meter langes Packsystem, das imstande ist, die Fracht vollautomatisch zu verpacken, zu versiegeln und zu etikettieren. Vor der Maschine seien 30 voll besetzte Tische nötig gewesen, um mit der gleichen Menge an Arbeit Schritt halten zu können.

Dass sich die technologische Aufrüstung und die Anschaffungskosten in Millionenhöhe für einige der Maschinen gelohnt haben, steht für Schwarzbach außer Frage: „Es war einfach notwendig. Auch wenn die Zahlen bedingt durch geopolitische Krisen zuletzt eher eine Seitwärtsbewegung machen, bin ich sehr zuversichtlich für die Zukunft von Orwo.“