Die Stadt von morgen

VISIONEN Corona-Nachwehen, Klimawandel, zunehmender Online-Handel. Wie antworten Magdeburg, Halle und Wernigerode auf die Herausforderungen von heute?

Von Isabell Sparfeld, Florian Zellmer und David Fuhrmann

In der Altstadt von Wernigerode wartet eine Vielzahl von individuellen Geschäften auf die Besucher. Foto: Imago/imagebroke
In der Altstadt von Wernigerode wartet eine Vielzahl von individuellen Geschäften auf die Besucher. Foto: Imago/imagebroke

Halle/Magdeburg/Wernigerode. - Wie sieht die Innenstadt von morgen aus? Ist alles heller, gläserner und grüner? Werden Menschen von autonomen Fahrzeugen kutschiert? Sind Geschäfte dann überflüssig, weil Transportdrohnen direkt in Wohnungen liefern?

Wie die Innenstadt von morgen aussieht, das entscheiden die Reaktionen auf die Probleme von heute. Jeder Stadtentwurf ist somit eine Antwort auf Gegenwartsfragen. Blickt man auf die wesentlichen Herausforderungen der heutigen Innenstadt, wirken Ideen wie Flugtaxis weit weg. Die Nachwehen der Corona-Pandemie, der Klimawandel und die Digitalisierung des Handels – all diese Faktoren wirken unmittelbar auf die Innenstädte Sachsen-Anhalts.

 

Corona-Pandemie: 800 Geschäfte in Sachsen-Anhalt mussten aufgeben

Insbesondere die Corona-Pandemie leitete den wohl größten Umbruch in der Geschichte des stationären Handels in Deutschland ein, allein in Sachsen-Anhalt mussten laut Handelsverband Deutschland (HDE) rund 800 Geschäfte aufgeben, bundesweit waren es nach Verbandsangaben 41.000. Und zogen früher große Konsumtempel wie Galeria Kaufhof die Menschen in die Innenstadt, haben die Kaufhäuser mit ihren gigantischen Verkaufsflächen heute an Bedeutung verloren und befinden sich vielerorts im Existenzkampf.

Die Krise der großen Kaufhäuser, ein zunehmender Online-Handel, sich leerende Fußgängerzonen: Um die Innenstädte zu beleben und attraktiver zu gestalten, müssen sich Kommunen, Stadtplaner und Händler anstrengen. Beim Umbau der Innenstadt von heute geht es um Aspekte wie Multifunktionalität, Mobilität, Wohnen.

Die Redaktion hat mit Stadt-Verantwortlichen aus Halle, Magdeburg und Wernigerode über ihre Innenstädte gesprochen. Wie gehen sie mit Leerstand um? Welche Projekte sind geplant? Was sind die Herausforderungen?

 

 

Halle: Trumpf für die Zukunft

Das Zukunftszentrum soll bis 2028 in Halle entstehen und pro Jahr eine Million Gäste in die Saale-Stadt locken. Foto:  Vestico / Stadt Halle (Saale).
Das Zukunftszentrum soll bis 2028 in Halle entstehen und pro Jahr eine Million Gäste in die Saale-Stadt locken. Foto: Vestico / Stadt Halle (Saale).

Was stellt man mit 18.000 Quadratmetern Nutzfläche mitten in der Innenstadt an?  Im Dezember 2022 musste die Galeria-Filiale am Marktplatz in Halle nach 18 Jahren schließen. „Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass Kaufhausimmobilien zukünftig nur an wenigen Standorten durch Nutzung eines einzelnen Einzelhandelsbetriebs wirtschaftlich tragfähig sind “, sagt Sabine Odparlik, Leiterin des Fachbereichs Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung der Stadt Halle. Die Immobilie steht seit dem Auszug von Galeria leer, wurde zuletzt aber zeitweise für ein Festival genutzt.  Eine Idee für die Zukunft? Eine gewerbliche Nutzung sei zumindest in Teilen notwendig, sagt Odparlik. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass aus dem ehemaligen Konsumtempel ein Bürohaus entsteht, mit mehreren Mietern.

Gebäude in Innenstadt sollen multifunktional genutzt werden

Die Leerstandsquote in der Innenstadt von Halle liegt aktuell bei zehn Prozent. Um dem entgegenzuwirken, sollen Gebäude möglichst multifunktional genutzt werden, wie zum Beispiel mit Büros in den oberen Etagen, das mache die Teilhabe vieler möglich. Grundsätzlich lohne sich der Handel oft nur noch im Erdgeschoss, sagt Odparlik. „In der Konkurrenz zum Onlinehandel ist der kleinere, inhabergeführte Laden, wo Fachexpertise da ist, wo man persönlich beraten wird oder ergänzende Dienstleistungen angeboten werden, auch zukünftig attraktiv“, so Odparlik.

Um der Innenstadt neue Impulse zu verleihen, setzt die Stadt auch auf Ideen aus der Stadtgesellschaft. Über das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ hat die Stadt Halle im vergangenen Jahr einen Wettbewerb ausgerufen, bei dem kreative Menschen nachhaltige Ladenkonzepte entwickelten – möglichst weg vom einfachen Einkaufserlebnis hin zum Erleben der Innenstadt. Von der Stadt werden die siegreichen Konzepte finanziell bei der Umsetzung unterstützt.

Stadt will weitere Angebote im Freien schaffen

Innenstädte sind für die Stadtgesellschaft Alltagsorte, an denen verweilt wird. Dafür will die Stadt weitere Angebote im Freien schaffen. Am Marktplatz plant Halle, weitere Sitzgelegenheiten zu installieren. Noch in diesem Jahr soll ein Leitbild erstellt werden, wie der Markt möbliert und vor allem begrünt werden kann. Denn: Durch den Klimawandel heizen sich Städte immer mehr auf. Eine wichtige Frage in der Stadtplanung ist deshalb, wie kühlender Schatten geschaffen werden kann.

Wer an das zukünftige Halle denkt, dessen Gedanken landen unweigerlich beim größten Ass im Ärmel der Saalestadt: dem Zukunftszentrum. Der Begegnungsort soll bis 2028 am Riebeckplatz entstehen und pro Jahr eine Million Gäste in die Stadt locken.

 

 

Magdeburg: Der Intel-Effekt

Etwa 10.000 Arbeitsplätze sollen durch die Ansiedlung des US-Chipherstellers in Magdeburg entstehen. Foto: Imago
Etwa 10.000 Arbeitsplätze sollen durch die Ansiedlung des US-Chipherstellers in Magdeburg entstehen. Foto: Imago

Auch in der Magdeburger Innenstadt fällt ein vermehrter Leerstand auf. „Problem ist wie in sehr vielen Städten der Internethandel“, sagt Jörg Rehbaum, Beigeordneter für Umwelt und Stadtentwicklung. In der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts wird die Zukunftsvision der Innenstadt längst nicht mehr rein synonym mit der Entwicklung des Handels gedacht. Im Zentrum der Pläne stehen multifunktionale Nutzungen, das heißt: „Arbeit, Wohnen, Einkaufen, Kultur, Administration und Verweilen“, wie Rehbaum sagt.

Magdeburg möchte einen fahrrad- und fußgehfreundlichen Verkehr realisieren

Um die Innenstadt zukunftssicher zu gestalten, hat der Magdeburger Stadtrat Ende 2022 den „Rahmenplan Innenstadt“ beschlossen. Konkret geht es darum, „das bauliche Erbe zukunftsorientiert weiterzuentwickeln, einen klimasensiblen Flächenumgang zu pflegen, öffentliche Räume aufzuwerten, einen fahrrad- und fußgehfreundlichen Verkehr zu realisieren und eine lebendige Mitte zu gestalten“, heißt es im Rahmenplan, mit dem aber kein Baurecht geschaffen wurde.  Über jedes Vorhaben muss im Einzelnen entschieden werden. Doch es ist eine Zielrichtung.

Erste Projekte werden bereits umgesetzt. Auf dem Areal des ehemaligen Busbahnhofs an der Hasselbachstraße, das jahrelang einer Betonwüste inmitten der Innenstadt glich, wird zurzeit ein siebenstöckiges Gebäude errichtet, in dessen oberen Etagen Platz für Büros ist. Im Erdgeschoss sind zwei Ladeneinheiten mit zusammen knapp über 400 Quadratmeter Grundfläche vorgesehen.

Niedrigeres Durchschnittsalter Schlüssel zur Belebung der Stadt

Für eine vielfältige Innenstadt sollen auch vermehrt Familien im Zentrum wohnen. Ein attraktiver Grund, mit Kindern in Innenstadtnähe zu ziehen, ist die geplante „IGS Willy Brandt“.

Mit dem Bau der Schule auf der Fläche des bisherigen Großparkplatzes östlich des Universitätsplatzes soll noch in diesem Jahr begonnen werden. Laut Yvonne Stieger, der Wirtschaftsbeigeordneten Magdeburgs, sei ein Schlüssel zur Belebung der Stadt die Senkung des Durchschnittsalters sowie der Anstieg des Durchschnittseinkommens. Da passt es ins Bild, dass mit der Ansiedlung des US-Chipherstellers Intel eben jene Effekte für Magdeburg zu erwarten sind.

 

 

Wernigerode: Das Steckenpferd muss in Form bleiben

Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen besuchen Wernigerode jedes Jahr. Foto: Imago
Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen besuchen Wernigerode jedes Jahr. Foto: Imago

Jede Stadt hat ihr Steckenpferd. In Wernigerode ist es ganz gewiss der Tourismus. „Wir haben 6.000 Arbeitsplätze im Tourismus und mehr als zweieinhalb Millionen Gäste jedes Jahr“, sagt der Wernigeröder Stadtentwickler Immo Kramer. Die Stadt im Harz mit all ihren märchenhaften Fachwerkhäusern hat den Rückgang der Besucherzahlen während der Corona-Pandemie gut verkraftet. „Wir haben die Zahlen aus 2019 schon im Jahr 2022 wieder übertroffen und in 2023 nochmal“, sagt Kramer.

Auf dem Weg zu den Sehenswürdigkeiten wie Schloss oder Rathaus flanieren die Touristen durch die Altstadt mit all den „kleinen, ganz individuellen Läden, wo man eben wirklich ein Erlebnis hat beim Einkaufen“, erklärt Kramer. Nach den Angaben des Stadtplaners liegt die Leerstandsquote in der Innenstadt bei nur zwei Prozent. Beneidenswert.

Wernigerode legt Wert auf Aufenthaltsqualität

Dennoch: Um die Stadt für die Zukunft zu rüsten, muss das Steckenpferd Tourismus in Form bleiben. Einerseits investiert Wernigerode deshalb weiter in die historische Altstadt, saniert das Rathaus, ein bei Touristen beliebtes Fotomotiv. Andererseits macht der Klimawandel auch nicht vor der Märchenstadt Halt.

"Abkühlungseffekte sind ein großes Thema", sagt Kramer, „wir legen Wert auf die Aufenthaltsqualität, auf die Lebensqualität und dazu gehört auch die ein oder andere Umweltschutzmaßnahme.“ Zusätzlich plant Wernigerode neue Radwege, verkehrsberuhigte Straßen und Abstellplätze für Fahrräder.

Bei der Frage, wie das Areal rund um den Marktplatz in Zukunft aussehen soll, hat die Stadt ihre Bürger in den Planungs-Prozess eingebunden. Die Bewohner konnten online auf einer Stadtkarte Wunschprojekte bestimmen und während eines Bürgerspaziergangs mit Stadt-Verantwortlichen über neue Ideen diskutieren – ein zukunftsfähiges Modell.